Lieber Vater,

in deiner letzten Mail an mich, bevor du zum Krankenhaus gefahren wurdest, hieß es: „Wird schon schief gehen.“ Deine letzten Worte an mich waren: “ Bleibst du noch?“ Dazwischen lagen anderthalb Monate. Beides ist eingetroffen, es ist schief gegangen und ich bin noch ein wenig geblieben. Ich erinnere dich als sehr zärtlichen und liebevollen Menschen. Mitunter konntest du auch aggressiv werden. All das trat auch während der Zeit im Krankenhaus zutage.

Wenn ein Mensch nicht sofort stirbt, dann bekommt er so etwas wie eine letzte Reise, die ihm so angenehm wie möglich gestaltet wird. Meine Mutter hätte noch unendlich viel für dich tun wollen, allein die Medizin vermochte es nicht mehr. Ich habe den leisen Verdacht, dass du schon vor einigen Monaten bei einem deiner vielen Ärzte keine sonderlich gute Prognose bekommen hast. Das hast du uns vermutlich verschwiegen.

Willenskraft bedeutete dir sehr viel. Ein wenig warst du schon neidisch auf mich, als wir gemeinsam im Frühjahr 1990 mit anderen Wanderern einen Viertausender in Äthiopien bestiegen haben und ich vor dir auf dem Gipfel angelangte. Ich war sogar zweite Gipfelbesteigerin, so mit zwölf Jahren. Solche Wettkämpfe brachten uns beide einander näher. Genauso wie die Heimfahrten von Potsdam nach Berlin, wo wir uns näher kamen. Du vor mir standest und mit Händen und Füßen versuchtest mir zu erklären, dass du mir nur das Beste wünscht. Das größtmögliche Glück.