Vieles ist gleich geblieben und vieles hat sich verändert. Mit einem Abstand von zwei Jahrzehnten fahre ich neuerdings jeden Tag in den Bezirk von Berlin, der mich hat groß werden lassen, wo ich den Häusern beim Wachsen zuschauen konnte, zwischen Schlamm und Baugruben gespielt, mich verliebt und verloren habe. Schlussendlich bin ich gegangen, haben wir uns getrennt nach dem Abitur, da die Wohnsituation in Berlin damals noch eine andere war und die Innenstadt mehr Verheißungen versprach. Gab es Erlösung? Nein, denn man nimmt sich immer selbst mit, egal wohin man geht.
Wenn ich heute als Besucherin, die ich nun bin, in Marzahn aufschlage, achte ich auf jedes Detail, jede Gefühlsregung, die Erinnerungen hoch- und wieder fortspült. Ich schaue mir die Menschen genau an. Sind sie glücklich? Sind sie von hier oder arbeiten sie nur hier? Geblieben ist, dass die Strecke zwischen Friedrichsfelde Ost und Springpfuhl immer noch über vier Minuten mit der S-Bahn dauert, dass der Himmel immer noch unendlich weit ist, Wind und Wetter nicht an engen Häuserschluchten gehindert werden und meine Gedanken zur Ruhe kommen.
Verändert haben sich die Bewohner von Marzahn in ihrer Zusammensetzung. Auf den zugigen Bahnsteigen stehen inzwischen viele türkische und arabische Familien mit ihren Kindern, die hier groß werden. Meine Schule gibt es nicht mehr, die Häuser haben andere Anstriche, sind vermutlich besser isoliert und einigen wurden noch ein elegantes Türmchen auf das Dach gesetzt, mit vermutlich top sanierten und teuren Wohnungen im Inneren.
Schlafstädte haben wir sie früher genannt, die Banlieues der Großstädte, wo nichts passiert, die Langeweile und die Kriminalität groß sind. Was aber passiert mit so einer Schlafstadt, wenn deren Bevölkerung einmal komplett ausgewechselt wird? Was kann dort alles noch entstehen, lässt man sich nicht von den kantigen Höhen irritieren.
Mein Traum war es immer, die Häuser um die Hälfte ihrer Höhe zu reduzieren (wie mit einem scharfen Schwert die Häuser zu köpfen), mehr Restaurants und andere Orte des geselligen Zusammenseins in meiner Nähe zu haben und der Rest ergibt sich schon. Parks und interessante Menschen gibt es in Marzahn genug. Aber ich hätte es gern lebendiger und aufregender. Damals wie heute.