Schulkinder

Der Bus kommt immer etwas später, habe ich mit den Jahren gelernt. Kinder stehen müde in kleinen Trauben oder einzeln an der Haltestelle. Das ältere Mädchen mit den robusten schwarzen Schuhen ist auch wieder da. Den Emo-Look trug sie bereits letztes Jahr. Später wird sie sich, so wie letztes Jahr auch, mit einem klar hörbaren aber nicht zu lautem „Auf Wiedersehen“ von dem Busfahrer verabschieden.

Ich sehe die Kinder nicht aufwachsen, aber einmal oder zweimal im Jahr kann ich einen Abgleich zum Vorjahr vornehmen. Dieses Jahr sind sie ruhiger und wirken auf eine angehm durchdringende Art schlauer. Auf der Rückfahrt vom Supermarkt an einem anderen Tag und mit einem anderen Bus steigt in einem kleinen Ort ein kleines blondes Mädchen zu, die sich entgegen der Fahrtrichtung setzt. Sie ist eine gute Beobachterin, wie sich später herausstellt. Ihr Blick ist aufmerksam. Der Busfahrer ließ an der Augangshaltstelle gelangweilt die Kinder hinein. Mich sah er etwas entsetzt an.

Versehentlich hatte ich zuvor den falschen Bus genommen und stieg zwei Haltestellen später aus, um wieder zurückzulaufen. Über den Daumen gepeilt müsste ich den richtigen Bus noch rechtzeitig bekommen. Aber ich war nervös und lief zügig die Hauptstraße des Ortes entlang. Eine Bäckerei, eine Fleischerei, ein Friseur, eine Sparkasse und eine Vertretung der Allianz. In dieser Gegend ist das ein Lottogewinn. Andere Orte, auch größere, kämpfen um den Erhalt eines Supermarkts oder einer Bäckerei. Ein Sportladen hatte geöffnet und einige Ständer auf den Gehweg gestellt.

Es ist keine Wintersaison und die Sommersaison beginnt gerade. Ich sah eine Fußgängerin und war verblüfft über diesen Anblick. Eine Durchreisende hielt vor einem Blumenladen. Ich fragte zur Sicherheit die Blumenhändlerin nach dem Weg zum Bahnhof und sie antwortete freundlich. Vor mir fuhr ein Bus in den Bahnhof ein. Anfangs wies er noch eine andere Linie aus, dann wechselte die Anzeige. Das war mein Bus. Verschwitzt stieg ich ein und der Busfahrer drehte leicht angewidert den Kopf weg und widmete sich wieder seinem Smartphone. Ich saß etwas entfernt schräg rechts hinter ihm. Er schaute sich entweder Modefotos oder Profile von Frauen auf einer Datingplatform an. Vermutlich letzteres, nahm ich an. Inzwischen saßen alle und die Abfahrtszeit war drei Minuten drüber. Aufgrund der Erfahrung mit dem anderen Bus fragte ich zur Sicherheit nach, ob das der richtige Bus ist. Der Busfahrer erwiderte ruhig und freundlich, dass das mein Bus ist. Das Smartphone hielt er dabei weiterhin in den Händen. Ob er sich vielleicht doch für Modefotos interessierte? Der Bus nahm Fahrt auf und um die fünf Minuten Verspätung aufzuholen, legte er einen Zahn zu.

Ein größerer Transporter kam uns entgegen und der Bus bremste abrupt. Ich flog nach vorne und mein voll gepackter Rucksack viel krachend auf den Boden. Das kleine blonde Mädchen fragte mit einer irritierend erwachsen wirkenden Stimme, ob mit mir alles in Ordnung sei und ich bejahte. Der Busfahrer rief leicht gestresst und plötzlich dialektfrei in den Bus: „Die fahren hier wie die Wilden!“ Ich sah das Mädchen an und lächelte. Sie zog sich leicht verschämt zurück und wirkte wieder wie ein kleines Mädchen. Ein paar Haltestellen später stieg sie aus und warf dem Busfahrer einen bösen Blick zu. Die Landschaft war unverändert geblieben – ein sattes Grün, mit gepflegten Bäumen am Straßenrand und einige Hausbesitzer hatten eine Glasterrasse an ihre mitunter jahrhundertealten Häuser angebaut.