The Lonely City – Olivia Laing

»When I came to New York I was in pieces, and though it sounds perverse, the way I recovered a sense of wholeness was not by meeting someone or by falling in love, but rather by handling the things that other people had made, slowly absorbing by way of this contact the fact that loneliness, longing, does not mean one has failed, but simply that one is alive.«

Die Wahrnehmung eines fundamentalen Gefühls von Einsamkeit, wenn es sich nicht schon in der Kindheit manifestiert hat, beginnt mit größter Wahrscheinlichkeit mit der ersten eigenen Wohnung, der Fremdheit der neuen Räume, der fremden Einbauküche und dem Gefühl, von der Vergangenheit abgeschnitten worden zu sein. Mit den ersten Erkundungen der neuen Umgebung versucht sich die Psyche über Objekte zu stabilisieren, denen sie liebevolle Aufmerksamkeit zu schenken vermag. Der Bäcker neben meiner ersten eigenen Wohnung hatte fantastische Schokoladencroissants und das erste Ritual, welches ich etablierte, war, mir jeden morgen ein Schokoladencroissant zu kaufen. Später beobachtete ich wachsamen Auges die Schaufensterauslagen eines ausgewiesenen Dekorationsgeschäftes in Schöneberg und wie sich die Auslagen während der Jahreszeiten wandelten. Als das Geschäft schlussendlich auszog, war ich in Schöneberg längst angekommen und wieder dabei, umzuziehen. Dieses Mal mit mehr Gelassenheit, denn ich kannte inzwischen die kleinen Tricks, die es braucht, um mit Veränderungen umzugehen. Auch mit den schmerzhaften.

Olivia Laing, die der Liebe wegen nach New York zog, musste bei ihrer Ankunft erfahren, dass die Liebe sich von ihr zurückgezogen hatte. Allein in einer fremden Stadt, in einer fremden Wohnung, getrennt von der Außenwelt, begann sie in der Stadt der hell ausgeleuchteten Glasfassaden sich über New Yorks Künstler ihrer eigenen Einsamkeit, der Einsamkeit und dem Alleinsein an sich anzunähern. Dabei galt ihr Augenmerk besonders Andy Warhol, Edward Hopper, Henry Darger und David Wojnarowicz. Ihre Überlegungen beginnen mit den sorgsam aufgeführten Funden der Vergangenheit und verknüpfen das Gedankengut der Avantgarde mit den uns heute umgebenden technischen Errungenschaften. Die englischsprachige Presse schreibt über die Autorin von »The Lonely City« zu großen Teilen begeistert, wie hier zum Beispiel die New York Times:

»The Book of Common Prayer offers an intercession for “our families, friends and neighbors, and for those who are alone.” We tend to put the alone in this separate category, but for Olivia Laing, “the essential unknowability of others” means that to be human is to be lonesome, at least sometimes. So why don’t we talk about it more openly? “What’s so shameful,” she asks, about “having failed to achieve satisfaction, about experiencing unhappiness?” This daring and seductive book — ostensibly about four artists, but actually about the universal struggle to be known — raises sophisticated questions about the experience of loneliness, a state that in a crowded city provides an “uneasy combination of separation and exposure.”«

Bemerkenswert ist zudem, dass sämtliche englischsprachige Kritiken sich kaum ähneln. Ich bin mir nicht sicher, ob das vor allem ein Verdienst der grandiosen und eloquenten Non-fiction von Olivia Laing ist oder ob englischsprachige Literaturkritiker*innen generell einen großen Wert auf Eigenständigkeit und Originalität legen.

Mit ihrer Widmung »If you’re lonely, this one’s for you« adressiert die Autorin von »To the River« und »The Trip to Echo Spring« eine Leserschaft, die sich vielleicht bisher nur oberflächlich mit Andy Warhol oder auch Edward Hopper beschäftigt hat, wobei das Buch durchaus neue Perspektiven und Verbindungen in der Betrachtung der Kunst des 20. Jahrhunderts ergründet. Die akademische, hybride Form von Memoir, Kunstkritik und Reisebericht nimmt Warhols tape recorder, »his wife«, zum Anlass, unsere körperliche Abwesenheit in unserer täglichen Kommunikation zu hinterfragen. Ausgehend von ihrer persönlichen Situation, in der Olivia Laing sich selbst als allein und einsam wahrnimmt, sich hinter ihrem Laptop versteckt, Anzeigen in Craigslist liest und hypersensitive in einem New Yorker Coffee Shop den Verkäufer beobachtet, ob er ihr ablehnend gegenüber sein könnte, geht sie in Archive und schaut sich die Fotografien und Filme von David Wojnarowicz an, um die Prozesse von Einsamkeit besser zu verstehen. Wojnarowicz‘ berühmte Fotografieserie, in der Arthur Rimbauds Gesicht als Fotokopie durch die Straßen von New York wandert und einen geborgten Körper besitzt, ist da nur eine Variante. Andy Warhol umgab sich gern mit Menschen, auch während seiner Arbeit. Kommuniziert hat er aber zumeist über seine technischen Devotionalien, seinen tape recorder, seine Kameras, seine Leinwände und sein Telefon. Wem fiele da nicht Siri ein? Laing widmet im Anschluss an Andy Warhol auch Valerie Solanas einige Seiten, wo sie ihre außergewöhnliche Stärke und ihr Außenseitertum beleuchtet. Versteckt und doch zugleich gesehen werden, das waren die grobkörnigen Aussagen von Hoppers Gemälden, Warhols reproduzierten Marylins und Wojnarowicz‘ Maskenspiel.

Alle von Olivia Laing ausführlich besprochenen Künstler hatten eine Bürde zu tragen, zumeist die eines Außenseiters, zuweilen gaben verstörende und bestürzende biografische Momente ihrem Außenseitertum Nahrung. Laing findet dafür später die schöne Metapher als auch das stoffliche Vorhandensein des Klebers in den Werken der Künstler, der die eventuell nie erlebte Erfahrung einer Gesamtheit Ausdruck verleihen soll. Ein nicht unwesentlicher Teil des Buches beschäftigt sich mit den HIV-Erkrankungen einiger der genannten Künstler. Sie widmet Klaus Nomi einige Seiten und wieder trifft es David Wojnarowicz. Die Szene erlebt eine innere und äußere Erschütterung. Von außen werden sie gemieden und im Inneren stirbt einer nach dem anderen weg. Doch fern ab von Agonie und Frustration wird auf der Straße und vor dem Weißen Haus für eine Verbesserung der medizinischen Versorgung der Erkrankten gekämpft.

Der Grundaussage des Buches, dass die von ihr besonders herausgestellten Künstler prototypisch für grundlegende Erfahrungen unserer heutigen Zeit stehen, stimme ich zu großen Teilen zu.

»At the screen, you have a chance to write yourself into the person you want to be and to imagine others as you wish them to be, constructing them for your purposees. It’s a seductive but dangerous habit of mind.«

Meine Kritik fischt eher im Kleinteiligen. Die anfänglich aufgestellte Gleichsetzung von Einsamkeit und die Wahrnehmung derselben als Isolationshaft in einem Eisblock ist nicht stimmig mit den Arbeiten der von ihr hervorgehobenen Künstlern. Deren Arbeiten sind weder hermetisch, selbst nicht die von Henry Darger, noch isoliert und verschlossen. Jede einzelne dieser Arbeiten beginnt mit einem kommunikativen Moment vor der eigentlichen Kommunikation. Hunger als Antriebsmoment finde ich hier stimmiger.

»What does it feel like to be lonely? It feels like being hungry: like being hungry when everyone around you is readying for a feast. It feels shameful and alarming, and over time these feelings radiate outwards, making the lonely person increasingly isolated, increasingly estranged.«

Was hingegen gut funktioniert, ist das Zitat von Epiktet. Damit lässt sich jede Form von Einsamkeit und der damit einhergehenden Durchlässigkeit erklären, egal in welcher Phase des Lebens man sich befindet .

»For because a man is alone, he is not for that reason also solitary; just as though a man is among numbers, he is not therefore not solitary.«

Mit der Gentrifizierung der Städte hat auch eine Gentrifizierung der Gefühle Einzug gehalten, mit einem gleichmachenden, ausradierendem und tödlichen Effekt.

»that not all wounds need healing and not all scars are ugly.«

Was nicht sein darf, was zu kompliziert ist, wie Depressionen, Angst oder Einsamkeit und als ungelöste medikamentöse Probleme gesehen wird, anstatt auch strukturelle Ungerechtigkeiten im Blick zu haben. Dabei sind wir einander verpflichtet innerhalb dieser Ansammlung von Wunden und um sie kreisenden Objekten zu einander freundlich, offen und solidarisch zu sein.

»Loneliness is personal, and it is also political. Loneliness is collective; it is a city.«

Dem Buch ist eine gelungene Übersetzung ins Deutsche zu wünschen, wobei das Original natürlich zu bevorzugen ist.

Dieser Text ist von 2016 und wurde ursprünglich auf dem nicht mehr zugänglichen Blog Bibliotheque gepostet.