Rassismus ist eine ganz harte Nuss

Es hat keinen Sinn, den Hashtag #menaretrash auf etwaige Makel hin zu untersuchen, weil dieses Vorhaben scheitern wird. Niemand wird ernsthaft Menschen als Müll bezeichnen wollen, außer es geschieht aus Verzweiflung. Es gab im letzten Sommer eine Trendwende, einen heftigen Throwback, der von verschiedenen Staaten aus, vor allem von Europa und den USA aus, einen aggressiven Rückschritt eingeleitet hat. Für mich stellt sich das so dar, dass eine junge Generation von Frauen diesen Throwback extrem zu spüren bekommt und sie sich dem zu widersetzen versucht.

Dieser Throwback trifft vor allem Frauen in Europa und den USA mit Migrationshintergrund. Da ist eine grundfeindliche Stimmung, in der Plätze geräumt werden, aufgrund von äußerst vagen Verdächtigungen und man die unschuldigen vernommenen Personen hernach noch dahingehend denunziert, dass sie sich vermutlich absichtlich verdächtig verhalten haben. Was um Himmels Willen soll diese unsinnig verschärfte Situation? Sie nützt niemandem. Im klassischen linken Sinne würde ich behaupten, da versucht jemand einen Konflikt, einen Krieg herbei zu reden, der so nicht existent ist.

Es gibt Migrationsbewegungen, die sich klassisch nach wirtschaftlicher Prosperität richten. Es gibt Flüchtlingsbewegungen, die von diversen Kriegssituationen her zu erklären sind. Daran ist nichts neu und es mag sicher auch einer besser vernetzten Welt geschuldetet sein, dass die Menschen einfach schlauer und aufmerksamer geworden sind. Den Mauerfall und seine politischen Konsequenzen und das sich entwickelnde Internet wird man später in Geschichtsbüchern auf einer kongruenten Zeitleiste finden.

Weg davon stecken in diesem Hashtag auch #aufschrei und #metoo, mit der berechtigten Zwischenfrage, wie sieht es aus, was hat sich inzwischen verändert? Werden inzwischen weniger Frauen vergewaltigt, umgebracht, missbraucht und belästigt? Es hat ein Umdenken stattgefunden, das ist nicht von der Hand zu weisen. Und ob sich das auch in den Statistiken niederschlagen wird, wird sich zeigen – muss sich hoffentlich zeigen.

Pete

Pete war ein Streuner, ein Herumtreiber der funkelsten Sorte. In seinen Hochzeiten saß er mit Freunden am Marktplatz um einen umgekippten Einkaufswagen unter dem ein Feuer loderte und darüber wurden Stadttauben gegrillt. Kranke, halbblinde Stadttauben. Pete aß die kleinen Fleischteilchen mit Genuss, wischte sich die Finger an den Hosenbeinen ab, nahm einen Schluck Bier und lachte über einen halb schon verwehten Scherz. Das Echo seines Lachens verhallte am Eingang zu einem Juweliergeschäft und niemand wurde krank von den Tauben. Am nächsten Morgen sah die Stadt nur einen verkohlten Einkaufswagen und keiner ahnte, was in der Nacht zuvor geschehen war. Pete wusste sich zu verteidigen, kannte die wichtigsten Griffe sämtlicher Kampfsportarten und zwei, drei Möglichkeiten, einen Menschen ohne großen Aufhebens umzubringen. Dazu kam es aber selten, außer im Haus in der Wachower drei gab es mal wieder Streit, wer wem das Geld oder das Pep geklaut hatte.

Pete begann für ein paar Musikmagazine zu schreiben. Es gab lobende Worte aus der Redaktion und von Freunden. Sein Wortschatz war ein Ungetüm aus tausenden von Romanen, die er seit der Kindheit verschlungen hatte. Die Worte entsprachen nicht immer seinen aktuellen Gefühlen, aber sie fügten sich gut zueinander. Wenn er nervös wurde, zählte er seine Finger, die Straßenlaternen oder die vorüberziehenden Autos. Bei acht hörte er immer auf und begann wieder von vorn. Der Tick ließ mit den Jahren nach, aber er ging nie ganz weg.

Marie war seine große Jugendliebe gewesen und dann gab es diesen Punkt, wo sich nichts mehr umkehren ließ, er vor dem Haus ihres Vaters stand und die zwei, drei Möglichkeiten des Tötens noch Fantasie waren, aber der Wille es zu tun beinah unumkehrbar war. Griffe, die man sich in Fernsehkrimis abschaut, da ist noch nichts Reales in der Welt. Wut aus Romanen abgeschaut, da ist noch nichts Reales in der Welt. Es sein lassen war dann die erste Realität. Die Wut ließ niemals nach, die Griffe wurden eingeübt, jederzeit anwendbar, aber die Gelegenheiten, einen Vater aus der Welt zu schaffen wurden selten.

Pete wirst du in jeder größeren Stadt finden. Er studiert noch oder hat inzwischen fertig studiert. Er ist Journalist, Wissenschaftler oder arbeitet in einem Startup. Pete könnte verheiratet sein, aber vermutlich hat er eher eine Lebensgefährtin oder er ist Single, einsamer Wolf oder gut vernetzt, trifft pausenlos Frauen samt ihrer abwesenden Väter, die er niemals wird umbringen können.

Blumen

Es ist wieder etwas kühler geworden, dafür scheint die Sonne und die Menschen verlassen ihre Wohnungen etwas schwungvoller als noch vor ein paar Tagen. Während meines Erledigungsrundganges komme ich am Blumenladen vorbei. Es gibt die ersten Osterglocken, als Schnittblumen oder im Topf. Ich überlege, ob der Blumenladen einen Namen hat, so wie ein Frisörladen oder ein Restaurant. Über dem Ladeneingang prangt nur eine Leuchtreklame mit dem eindeutigen Wort „Blumen“ und nachts erhellt sie mit ihrem DDR-Look die Kreuzung, verwandelt bei halb zugekniffenen Augen den Ort in ein Filmset einer Serie, die in den 80er Jahren der DDR spielt. „Blumen“ also. Google verrät, dass der Laden tatsächlich nur „Blumen“ heißt, während andere Floristen ihren Läden durchaus ähnlich charmante Namen geben, wie es zuweilen Frisöre tun. Mein Rundgang führt mich noch zu meinem Lieblingsspätverkauf über dessen Eingang in modernen Lettern „Lebensmittel“ steht. Das ist meine Hood – Blumen, Lebensmittel und Briefmarken (na gut, inzwischen Briefmarkenweine). Als ich vor über zehn Jahren hierher gezogen bin, hatte ich das Gefühl, in einem fremden Kosmos voller glänzender Fassaden angekommen zu sein. Nur flüchtig erinnerte mich einiges davon an „früher“, die Fleischereien zum Beispiel, bei denen wir in den 80ern manchmal halt gemacht haben und die es genauso immer noch gibt. Inzwischen hat sich über das unvertraute Gefühl wieder ein vertrautes Ost-Gefühl gelegt. Die alten Leute in meinen Haus, die Ärzte, die ich aufsuche, die „jungen“ Ost-Berlinerinnen, die ich hier kennengelernt habe, haben diesen Lebensabschnitt mitgeprägt und mir ein neues Heimatgefühl vermittelt, welches mir zum einen vertraut und zum anderen neu ist. Vielleicht bin ich aber auch erst die letzten zehn Jahre richtig Berlinerin geworden.

Der Februar ist immer gut getaktet mit allerlei Familienfeiern und Verabredungen hier und da. Ob ich älter geworden bin? Klar, wer nicht … Ich habe eine eigenartige Phase hinter mir, die nun, wie es mir scheint, ihr Ende genommen hat. Der Satz oder Gedanke bringt mich zum Lachen. Welche Phase in meinem Leben war denn bitte nicht eigenartig? Ich möchte den Phasen lieber Tiernamen geben, vorangestellt eine Farbe. Dann könnte man das Leben in die „blaue Eichhörnchenphase“, die „silberne Mausphase“ oder den „grünen Leoparden“ unterteilen und könnte später mit einer Therapeutin darüber diskutieren, ob es wiederkehrende Muster in der Eichhörnchenphase und in der Mausphase gab.

Ich finde es noch zu früh für Narzissen, aber das war auch schon letztes Jahr so.

Die Wilde 13

Bevor ich eingeschult wurde, zogen wir innerhalb von Marzahn noch einmal um. Wir tauschten den alles überschauenden Blick aus der vierzehnten Etage eines Punkthauses gegen einen sogenannten Elfgeschosser und wohnten von nun ab in der siebten Etage. Um uns herum wurde immer noch viel gebaut, unfertige Häuser stießen auf Kräne, die den Blick himmelwärts zogen. Wir Kinder im Vorschulalter und in den Sommerferien fanden uns ohne große Worte zusammen. Unsere Spiele waren, wer als erstes die Mitte der Pfütze erreichte oder auf den Baum an einem nahe gelegenen Tümpel klettern konnte. Mein Ehrgeiz war unermesslich und deswegen waren die obligatorischen Gummistiefel ständig voller Wasser, die Ellenbogen zerschürft. Wir rannten umher und vor Bauarbeitern davon. Ich merkte mir die Namen der Kinder, auch wenn ich sie nach dem Sommer wieder vergessen haben würde und in der Nummer dreizehn einer Seitenstraße gab es unter dem Treppenzugang ein Geheimversteck, das wir „Wilde 13“ nannten. Der Hohlraum war noch nicht fertig zugemauert und hier ersannen wir die nächsten Pläne, unsere nächsten Spiele.

Meine Eltern waren schon oft umgezogen, aber jeder Umzug bedeutete für sie immer noch Höllenqualen und immensen Stress. Was musste man nicht alles beachten und was konnte nicht alles schief gehen. Pflichtbewusst, wie ich damals schon war, wollte ich helfen und trug einen Meißner Porzellanteller in die Wohnung. Den konnte ich immerhin gut greifen. Mein Vater war entsetzt und nahm mir den Teller aus der Hand und schalt mich, setzte mich etwas unsanft auf den Boden und meinte, das solle ich nie wieder tun. Ich merkte mir diesen Moment, weil ich instinktiv wusste, dass die Reaktion meines Vaters überzogen war. Der arme Porzellanteller, wäre er mir doch wenigstens aus der Hand gefallen. So hing er nur die nächsten Jahre an einer Wand und jedes Mal, wenn ich ihn betrachtete, dachte ich an diesen Moment. In meiner Pubertät hing er immer noch da und überlebte wildeste Partys. Die Reaktionen meines Vaters waren inzwischen milder geworden, aber das hatte alles nichts mit mir zu tun.

Es dauerte einige Zeit, bis ich mich zwischen all dem Beton auskannte. Später malte man Blumen auf die Hauseingänge, damit die nachwachsenden Kinder sich in dieser seriellen Bauweise zurecht fanden. Vor den Häusern standen winzige Setzlinge, die einmal Bäume werden würden. Der Baum am Tümpel wurde zu einem Naturschutzgebiet erklärt. Wir Kinder waren uns einig, dass sie das nur getan hatten, damit wir da nicht mehr herauf kletterten. Der schönste Sommer aller Zeiten zog sich in die Länge und die Wohnung nahm allmählich Gestalt an. Es kamen neue Möbel dazu und der Stress wich einem Angekommensein, einer Gelassenheit. Wir fingen wieder an zu wohnen, die neue Wohnung als natürlichen Lebensraum zu betrachten und mein Bruder würde bald wieder ausziehen und auf ein Internat gehen.

Swimmingpool

Es gibt wenige Sehnsuchtsorte, die weltweit im kollektiven Gedächtnis verankert sind und sich vor allem aus Erinnerungen an die eigene Jugend zusammensetzen. Die erste Liebe, der erste Kuss, Schwimmbadpommes und viel nackte Haut. Bei Swimmingpool denke ich eher an Charlotte Rampling, als an Romy Schneider. Ich sehe Bilder von Stephen Shore vor mir und mir kommt „Little Children“ in den Sinn. Die letzten Tage im Juni 1990 in Addis Abeba haben wir in einem Schwimmbad verbracht, bevor wir in das leere Ost-Berlin zurückkehrten und uns an die neue Zeit gewöhnten.

Das Schauspiel Leipzig nahm am diesjährigen Theatertreffen mit 89/90 teil, einer Bühnenfassung von Peter Richters gleichnamigen Roman. Die Jugendlichen sind zur Wendezeit etwas älter, als ich es war, aber ihre Geschichten sind mir durchaus vertraut. Im Sommer 1989 treffen sie sich häufig nachts in einem Schwimmbad und ziehen ihre Bahnen, rauchen und reden. Diese unwirkliche Atmosphäre des nächtlichen Schwimmens wird tagsüber unterbrochen vom sich auflösenden DDR-Alltag, großartig mit einem Chor umgesetzt, der die Schauspieler durch ihre nervenzerfetzenden Dialoge und Monologe begleitet. Was hat jetzt noch Bestand, wohin geht die Reise und wer sind jetzt die Feinde? In diesem Durcheinander war Helmut Kohl tatsächlich nicht mehr als eine flüchtige Figur, die kurz über den Massen schwebte und dann verschwand. Geblieben waren der Konsum und eine unaufgearbeitete Jugend mit militärischem Drill.

Meine dritte und damit letzte Inszenierung des Theatertreffens, welche ich besucht habe, war „Pfusch“ von Herbert Fritsch. Hier öffnet sich nach dem Baden im Schwimmbad nicht der eiserne Vorhang, sondern er schließt sich. Der Sehnsuchtsort, die große Spielwiese, der Sommer – sie alle sind vorbei und das anfänglich rastlose Hämmern auf alten Klavieren verklingt. „Schön“ war es gewesen, beteuern die Schauspieler und ich verbleibe etwas ratlos zurück. Die Volksbühne ist durchgespielt und für manchen mag es ein endloser Sommer gewesen sein. Aber auch der geht vorbei.